Im modernen Alltag nimmt der Umgang mit der Tastatur eine immer größere Bedeutung ein, allerdings vermuten manche Experten motorische Einbußen, wenn der Bleistift oder die Füllfeder vermehrt gegen die Tastatur eingetauscht werden. Durch die zunehmende Digitalisierung tritt vor allem bei Kindern das Schreiben mit der Hand immer mehr in den Hintergrund, und sie haben später daher oft große Schwierigkeiten, mit der Hand zu schreiben. Früher lernten GrundschülerInnen die Handschrift mit viel Drillübungen, wobei noch vor den ersten Leseübungen Tafeln und Hefte seitenweise mit geschwungenen Buchstaben gefüllt wurden, doch heute lernen Kinder meist gleichzeitig Lesen und Schreiben und das zuerst mit Druckbuchstaben. Erst später übt man die Schreibschrift, sodass es zu einer feinmotorischen Verarmung kommt, denn in Tests zeigt sich, dass viele SchülerInnen der ersten Klasse nicht in der Lage sind, eine Plastillinstange weich zu kneten oder feine Schneideaufgaben zu erledigen. Das liegt daran, dass die Hand ein hochkomplexer Apparat mit über dreißig Muskeln ist, dessen Steuerung gelernt werden muss, was bei einem Verzicht auf Übungen zur Schreibmotorik nicht ausreichend geschieht. Offenbar führt auch die meist sehr frühe Nutzung von Smartphones und Tablets nicht zu einer entsprechenden Schulung der Feinmotorik. Das fehlende Schreiben mit der Hand hat jedoch nicht nur Auswirkungen auf die Schreibkompetenz allein, sondern auch auf das Denken. Studien belegen, dass beim Tippen die Aktivitäten im Gehirn viel geringer sind als beim Schreiben mit der Hand, denn beim Schreiben mit der Hand wird das Gehirn ganzheitlich aktiviert. Das Schreiben auf einer Tastatur hinterlässt keine oder nur wenige Spuren im Ablaufgedächtnis bzw. dem motorischen Gedächtnis. Kinder, die mit der Hand schreiben, können auch ihren Unterrichtsstoff viel besser erlernen und verstehen, denn ihr Gehirn wird insgesamt stärker stimuliert. Das wirkt sich apäter auch dann besonders fatal aus, wenn in der Schule gefordert wird, Arbeiten einmal mit der Hand zu schreiben.
Zahlreiche Experten fordern daher, wieder stärker die Handschrift und sogar das Schönschreiben zu fördern, wobei es um mehr geht, als dass Kinder eine funktionale und eine für sie gut nutzbare Handschrift erwerben. Im Gegensatz zum Schreiben mit einer Tastatur geht es nämlich darum, Buchstaben auch aus der Bewegung heraus zu erkennen, denn ein „K“ fühlt sich anders an als ein „S“, wenn man es mit der Hand schreibt. Nur auf diese Weise kann das Gehirn verarbeiten, was die Hand macht, denn ohne Handschrift verliert man eine Sinnesebene und das erschwert das tatsächliche Verstehen. Dabei ist es gar nicht so wesentlich, welche Ausgangsschrift verwendet wird, d. h., es muss nicht unbedingt eine verbundene Schreibschrift erlernt werden. Immerhin wird etwa auch durch die Verwendung von Tablets schon die Möglichkeit geboten, das mit einem Stift Geschriebene in Digitalschrift umzuwandeln. Beim Schreibenlernen mit der Hand geht es jedoch auch darum Bewegungsroutinen zu entwickeln, die dann im Gehirn abgespeichert werden. Je rauer der Schreibuntergrund, umso stärker der Widerstand, sodass es für Kinder ein viel intensiveres Erlebnis ist, mit einem Bleistift auf rauem Papier zu schreiben als mit einem Kugelschreiber auf einem glatten Papier oder mit einem Finger bzw. Stift auf einem Tablet. Am allerbesten zum Schreiben lernen ist sicherlich Schiefertafel und Griffel, wobei besonders Kindern mit motorischen Problemen davon profitieren.
Am 23. Jänner ist der Internationale Tag der Handschrift, der seit 1977 unter der Schirmherrschaft der Writing Instrument Manufacturers Association (WIMA) dabei weltweit der Einfluss des handschriftlichen Schreibens auf unseren Alltag gewürdigtwird. Heute weiß man, dass es einen Zusammenhang zwischen Schreiben, Denken, Kreativität und der neuronalen Aktivität unseres Gehirns gibt: „Schreiben und Zeichnen mit der Hand ist Basiskompetenz für vieles, und Sprache gelingt vor allem durch die hochkomplexen, feinmotorischen Fertigkeiten mit der Hand“, sagt Stephanie Ingrid Müller, Kunst- und Medienpädagogin vom Mediastep-Institut in Nürnberg. Schreiben macht aber nicht nur klug, sondern trägt auch zum Stressabbau bei und lässt das Gehirn zur Ruhe zu kommen, während das Gedächtnis gleichzeitig stimuliert und der Geist jung gehalten wird. Und letztlich vermag die Handschrift auch Emotionen zu vermitteln, denn nichts ist so persönlich, authentisch und individuell wie sie.
Von Hand zu schreiben verbessert also auch die Merkfähigkeit, denn meist prägt man sich beim Schreiben einen Inhalt erst richgig ein. So ist etwa die Übertragung neuer Wörter einer aktuellen Fremdsprachenlektion ins Vokabelheft weit mehr als lästige Fleißarbeit, denn die Wendungen werden gleichzeitig ins Gedächtnis geschrieben, und zwar viel besser, als es das Tippen auf einer Tastatur je leisten kann. Wer ein Wort von Hand schreibt, vollzieht den kompletten motorischen Prozess, Buchstabe für Buchstabe nach, bis das Wort entstanden ist. Viele Geräte wie das iPad geben nach drei Buchstaben bereits eine Auswahl mit den wahrscheinlichsten Varianten, sodass man gar kein vollständiges Wort mehr schreiben muss, entsprechend prägt sich die Schreibweise eines komplizierteren Wortes wesentlich schlechter ein.
Zahlreiche Studien der letzten Jahre bestätigen diese Einschätzung bei Schulkindern, aber auch Erwachsene profitieren davon, wenn sie mit Stift statt Tastatur lernen. Handschriftliche Notizen beflügeln oft das Gedächtnis und die Kreativität, denn vermutlich werden beim Erinnern die Schreibbewegungen im Geiste nachvollzogen. Dieser Effekt kommt auch dann zum Tragen, wenn man versucht, sich an eine Schreibweise zu erinnern, und dafür das Wort niederschreibt oder mit dem Finger in die Luft malt.
Auch StudentInnen nehmen mehr aus einer Vorlesung mit, wenn sie sich handschriftliche Notizen machen, als wenn sie ihre Mitschrift am Computer eingeben. Man kann daher davon ausgehen, dass die gesamte kognitive Entwicklung von Kindern durch das Schreiben stärker befruchtet wird als durch das Tippen, wobei neben dem Erinnerungsvermögen und der Fähigkeit zur korrekten Rechtschreibung auch Vorstellungskraft und Kreativität davon profitieren.
Aus eigener Erfahrung weiß der Autor dieser Seiten, das StudentInnen bei umfangreichen Prüfungen, bei denen mehrere Stunden mit der Hand geschrieben werden muss, schon nach kurzer Zeit Krämpfe auftreten, da sie das nicht mehr gewohnt sind. Ich empfehle daher allen StudentInnen, sich auf solche Prüfungen auch damit vorzubereiten, indem man längere Briefe mit der Hand schreibt oder längere Zusammenfassungen von Lernstoffen.
*** Hier KLICKEN: Das BUCH dazu! *** Anne Mangen am Zentrum für Leseforschung der Universität Stavanger hat herausgefunden, dass das Schreiben mit der Hand einen Lernprozess verstärkt, denn hierbei werden Motorik, Haptik und Wahrnehmung miteinander verknüpft. Schließlich sind beim Lesen und Schreiben viele Sinne beteiligt, wobei beim Schreiben mit der Hand das Gehirn sowohl eine Rückmeldung von der motorischen Aktivität als auch von den Sinnen erhält, die das Schreibgerät und das Papier im wahrsten Sinn des Wortes begreifen. Auch der Blick ins Gehirn von schreibenden Personen zeigte, dass handschriftliches Schreiben eine Art motorische Erinnerung hinterlässt, wodurch die Erinnerung an das Geschriebene später leichter fällt. In einem Experiment mit zwei Gruppen, in denen den ProbandInnen die Aufgabe erhielten, Briefe in einer unbekannten Schrift, bestehend aus rund zwanzig Buchstaben, zu schreiben. Eine Gruppe schrieb mit der Hand, während die andere mit Hilfe einer Tastatur die Texte verfasste. Drei und sechs Wochen später wurde die Erinnerung an diese Briefe getestet. Diejenigen, die die Briefe mittels Handschrift gelernt hatten, waren in der Erinnerung an das Schreiben wesentlich erfolgreicher. Die sensomotorischen Komponente beim Schreiben bildet offenbar einen integralen Bestandteil des Lernprozesses. Vermutlich spielt aber auch die Zeit eine Rolle, denn wenn man mit der Hand schreibt, dauert es länger, als wenn einen Text über eine Tastatur eingibt.
Die Auswirkungen des Verlusts der Handschrift durch den vermehrten Einsatz digitaler Geräte auf das menschliche Gehirn sind Gegenstand intensiver Forschung. Van der Weel & Van der Meer (2024) haben in ihrer Studie genauer untersucht, wie sich das Schreiben von Wörtern mit einem digitalen Stift im Vergleich zur herkömmlichen Tastatureingabe auf die Gehirnaktivität auswirkt. Dabei stellte sich heraus, dass die Hirnaktivität beim handschriftlichen Schreiben signifikant stärker ausgeprägt ist, was sich in spezifischen Kohärenzmustern im Gehirn manifestiert. Diese Muster sind entscheidend für die Speicherung von Informationen und das Lernen neuer Inhalte.
Es ist bekannt, dass die Verbindungen in bestimmten Gehirnbereichen, die durch das handschriftliche Schreiben aktiviert werden, maßgeblich zur kognitiven Entwicklung beitragen. Die Erfassung von visuellen und Bewegungsinformationen beim Schreiben mit einem Stift spielt eine bedeutende Rolle für das Gehirn und ist von großer Bedeutung für den Lernprozess. Im Gegensatz dazu zeigt sich, dass das wiederholte Drücken einer Taste bei der Tastatureingabe das Gehirn weniger anspricht.
Dies erklärt auch, warum Kinder, die hauptsächlich mit Tablets lesen und schreiben gelernt haben, gelegentlich Schwierigkeiten haben können, bestimmte Buchstaben voneinander zu unterscheiden. Frühzeitige handschriftliche Übungen in der Schule können dazu beitragen, optimale Lernbedingungen für das Gehirn zu schaffen und die kognitive Entwicklung zu fördern. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass Lehrer sowohl den Umgang mit Technologie als auch das Schreiben mit der Hand bei ihren Schülern fördern.
Marianela Diaz Meyer, Leiterin des deutschen Schreibmotorik-Instituts, in einem Interview mit Markus Böhm im Standard vom 31. August 2020:
Das Schreiben mit dem Stift oder der Füllfeder ist eine Kulturtechnik und im besten Sinne des Wortes auch Handwerk, doch ist der Weg zu einer flüssigen Handschrift alles andere als leicht, wie man aus eigener Erfahrung weiß oder bei Kindern beobachten kann. So mancher ABC-Schütze scheint daran zunächst zu verzweifeln. Das Handschreiben fördert die Merkfähigkeit, das inhaltliche Verständnis, Kreativität und selbst das logische Denken. Das Schreiben mit der Hand wirkt sich positiv auf das Gehirn und damit die kognitive Entwicklung aus. Wenn man vom Schreiben spricht, denkt man zuerst an die Schrift, wobei die Bewegungen, die zur Schrift führen, entscheidend sind, also die Schreibmotorik. Kleine Finger- und Handgelenkbewegungen ermöglichen erst die Ausgestaltung der Schrift, wobei sich siebzehn Gelenke und mehr als 30 Muskeln im Hand-Arm-System bewegen, wobei zwölf Hirnareale gleichzeitig aktiv sein müssen. Das Schreiben mit der Hand ist also ein komplexer, feinmotorischer Ablauf, denn nur geübte Finger können das Schreibgerät beherrschen. Dass Kinder immer weniger Bewegungsspiele spielen, wirkt sich das nicht nur auf die Grobmotorik sondern auch auf die Feinmotorik aus. Studien haben gezeigt, dass schon eine Stunde Handschriftförderung in der Woche eine Reihe positiver Effekte hat, und zwar über alle Fächer hinweg und weit über die Volksschule hinaus. Schreiben erhöht die Merkfähigkeit und die Kreativität, man unterstützt dadurch auch das Lesenlernen und das Lernen im Allgemeinen. Handschrift erfordert größere feinmotorische Fertigkeiten und eine viel stärkere Differenzierung, denn dadurch prägen sich die unterschiedlichen Buchstabenformen dauerhafter ein, d. h., die Handschrift nützt dem Schriftspracherwerb mehr als das Tippen auf der Tastatur. Beim Tippen gelangt man mit immer der gleichen Bewegung zu einem Buchstaben, wenn man aber ein Schriftzeichen per Hand schreibt, muss man Bewegungen vollführen, die bei jedem Buchstaben anders aussehen. Jeder Buchstabe hat einen anderen charakteristischen Bewegungsablauf, und diese kleinsten, differenzierten Bewegungen sind es, die das Gehirn aktivieren und beim Lernen helfen. Man kann davon ausgehen, dass die gesamte kognitive Entwicklung von Kindern durch Schreiben stärker befruchtet wird als durch Tippen, weil mehr benachbarte Funktionen wie Vorstellungskraft, Kreativität, Rechtschreibung und Erinnerungsvermögen angeregt werden. Zudem wird bei der Verarbeitung von Text in Form von Handschreiben eine motorische Gedächtnisspur im Gehirn angelegt, auch bei Erwachsenen.
Literatur
Stangl, W. (2018). Die Handschrift forcieren – ? bemerkt.
WWW: http://bemerkt.stangl-taller.at/die-handschrift-forcieren/ (2018-05-15).
http://www.spektrum.de/news/wie-lernt-man-am-besten-handschrift/1347103 (15-11-12)
Stangl, W. (2024, 26. Juli). Handschrift oder Tastatur? Neuigkeiten aus der wissenschaftlichen Pädagogik.
https:// paedagogik-news.stangl.eu/handschrift-oder-tastatur.
Van der Weel, F. R. & Van der Meer, Audrey L. H. (2024). Handwriting but not typewriting leads to widespread brain connectivity: a high-density EEG study with implications for the classroom. Frontiers in Psychology, 14, doi:10.3389/fpsyg.2023.1219945.
Siehe dazu Stangl, W. (2021, 19. Juli). Handschrift oder Tastatur? Neuigkeiten aus der wissenschaftlichen Pädagogik.
https://paedagogik-news.stangl.eu/handschrift-oder-tastatur.
Stephanie Ingrid Müller betont in einem Interview mit dem Deutschlandfunk im Jänner 2019, dass mit dem Schreiben mit der Hand viel mehr Fingerbewegungen gebraucht und auch ausgeführt werden, als wenn man mit der Tastatur tippt. Hinzu kommt, dass wenn man auf einer richtigen Tastatur tippt, man wenigstens noch die Bewegungen hat, dass man Druck ausüben muss, damit die Taste sich vertieft und wieder zurückkommt. Hingegen spürt man beim Tippen auf einem Tablet oder Smartphone, also auf einer Glasfläche, so gut wie gar nichts mehr. Die Bewegung auf der Tastatur für verschiedene Buchstaben ist immer sehr ähnlich. Wenn man aber mit einem Stift einen Buchstaben oder ein Wort schreibt, hat man äußerst differenzierte Bewegungen, die vom Gehirn viel mehr gesteuert werden. Schreiben ist im Grunde die hochkomplexeste Leistungssprache und eine hochkomplexe Feinmotorik zusammenzubringen, wobei man sich auch noch den Inhalt merkt, denn Forschungen zeigen, dass wer mit der Hand schreibt, der merkt sich auch den Inhalt besser.