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Warum ist Mathematik so schwer zu lernen?

    Sprache lernen im Vorübergehen! Lernposter

    Die Angst vor Mathematik ähnelt manchmal der Gottesfurcht.
    Jaromir Konecny

    Grundsätzliches: Mathematik besitzt neben eigenen Worten und Symbolen auch eine eigene Syntax und Grammatik, d. h., Mathematik ist eine Sprache, in der über die ideale, geordnete Welt mathematischer Gegenstände gesprochen werden kann. Diese Mathematik als Sprache muss für die Schülerinnen und Schüler bedeutungsvoll sein, damit sie mathematisch kommunizieren und Mathematik anwenden können. Die Vertrautheit mit grundlegenden Aspekten von Mathematik muss dabei von einer dynamischen, tätigkeitsorientierten Auffassung von Mathematik ausgehen, also von mathematische Literalität. Bei dieser mathematischen Literalität geht es demnach um die Fähigkeit zur funktionalen Verwendung von Mathematik und nicht um die Bewältigung schulischer Anforderungen, d. h., um die Fähigkeit zur Lösung mathematischer Probleme in einer Fülle von Situationen, wobei insbesondere authentische Fragen, die auf lebensweltlichen Situationen beruhen, im Mittelpunkt stehen sollten. Mathematik beinhaltet also ein System begrifflicher Werkzeuge, mit denen die Phänomene der natürlichen, sozialen und geistigen Welt geordnet werden können (Kaiser & Schwarz, 2003).

    Viele SchülerInnen denken, dass es bei Mathematikaufgaben allein auf das Ergebnis ankommt, d. h., den SchülerInnen geht es vorwiegen um das Rezept, wie man rasch zu einem bestimmten, nämlich dem richtigen Ergebnis kommt. Diese grundsätzliche Einstellung beim Lernen von Mathematik ist aber ein Fehler, der später oft Probleme mit sich bringt, denn dabei wird bei vielen SchülerInnen der unerlässliche Kontrollmechanismus des Verständnisses durch die vorhandenen Formeln ausgeschaltet, d. h., die Schüler orientieren sich nur am Weg zum Ergebnis, nicht aber am Prozess. Daher ist eine der wichtigsten Grundlagen beim Lernen in der Mathematik das Schätzen zu lernen und ein Gefühl für die Plausibilität eines Rechenvorgangs zu entwickeln. Man könnte in diesem Zusammenhang auch sagen, dass es bei jedem Rechenvorgang in der Mathematik vor allem auf den Sinn einer Berechnung ankommt, nicht nicht auf die Zahlen oder Formeln allein.

    Untersuchungen haben übrigens gezeigt: Stützt man das Lernen von Mathematik auf allgemeine, übergreifende mathematische Prinzipien – etwa indem man Addieren und Multiplizieren nicht nacheinander sondern gleichzeitig lernt -, fällt es Schülern und SchülerInnen viel leichter, Mathematik zu verstehen.

    Viele Schülerinnen und Schüler klagen bekanntlich darüber, dass Mathematik ein so schwieriger Lerngegenstand ist. Auch die meisten Erwachsenen sind sich im Rückblick darüber einig, dass Mathematik in der Schule ihr schwierigster Gegenstand war, und dass sie auch heute noch Probleme haben, mathematische Aufgaben ihrer eigenen Kinder zu verstehen. Auch ein Blick in Mathematikhefte von Schülerinnen und Schülern lässt viele erschauern, denn es wimmelt dort nur so von kryptischen Rechen- und Vorzeichen, von Formeln und Kürzeln, von Unbekannten wie x und y, griechischen Buchstaben und Bruchstrichen, Klammern in allen Variationen. Mit Schaudern erinnern sich noch manche, dass ihre Mathematiklehrerin oder Mathematiklehrer von eleganten Tafelanschrieben begeistert waren, sie als Schülerinnen und Schüler aber immer nur Bahnhof verstanden haben.


    Nach einer Befragung des Nachhilfe-Dienstleisters Lernquadrat unter 10- bis 19-Jährigen kann ein Drittel der Schülerinnen und Schüler dem Mathematikunterricht kaum folgen. Steht Mathematik am Stundenplan, verdirbt das außerdem für ein Drittel den kompletten Schultag. Knapp vierzig Prozent geben dem Unterricht ein „Genügend“ oder ein „Nicht Genügend“, wobei mit steigendem Alter die Beurteilung schlechter ausfällt. Nur 18 Prozent gaben an, dass sie der Mathematikunterricht auch auf ihr späteres Berufsleben vorbereiten würde, 37 Prozent wünschen sich daher mehr Alltagsbezug im Unterricht. Das größte Problemfeld in Mathematik sind für die Schülerinnen und Schüler jedoch Textaufgaben, doch auch das Integrieren und Wahrscheinlichkeitsrechnungen fallen vielen schwer, wobei sich 74 Prozent bessere und geduldigere Erklärungen wünschen. Viele trauen sich nicht Fragen zu stellen, wenn etwas nicht verstanden wurde, obwohl das 44 Prozent gerne tun würden. Interessanterweise wurde kein signifikanter Unterschied zwischen den Geschlechtern festgestellt.


    So heißt es etwa in einer einschlägigen Werbeaussendung für Nachhilfe unter dem Titel „Mathematik – das Fach vor dem es die meisten Schüler graut“: „Tatsächlich ist es so, dass in kaum einem anderen Bereich mehr Nachhilfe benötigt und gegeben wird als hier. Wer die Mathematik gut beherrscht, der kann sich als Lehrer für Mathematik sprichwörtlich eine goldene Nase verdienen. (…) Bis heute ist nicht geklärt warum so viele Schüler Probleme mit diesem Fach haben. (…) Aber auch bei der Mathematik gilt das gleiche Prinzip wie bei Sprachen oder jedem anderen Fach: Aufgaben und Regeln müssen hundertfach wiederholt werden damit sie sich einschleifen und man sie im Schlaf rechnen kann. Besondere Vorsicht ist bei Mathematikaufgaben trotzdem geboten: Nur weil eine Aufgabe ähnlich aussieht wie eine, die man bereits kennt und kann, heißt dies nicht, dass sie auch genau so berechnet wird.“

    In der schriftlichen und auch sprachlichen Notation von Mathematik liegt eine der Hauptursachen für die Probleme, die Menschen mit Mathematik haben. So logisch, nachvollziehbar und überzeugend manche Rechnungen an der Tafel bzw. auch im eigenen Schulheft in der Schule noch waren, so schwierig wird es, wenn man die selben Aufgaben zu Hause wiederholen oder üben möchte. Die Notation in Mathematik stellt gewissermaßen nur das Gerippe jeder mathematischen Berechnung dar, während die Sehnen, die Knorpel und das Fleisch, dass sich zwischen den Knochen befindet, auf dem Papier fehlt. Durch das Fehlen dieser Verbindungen fehlt daher auch die Möglichkeit, auch schon einmal Verstandenes wieder ins Gedächtnis zu rufen.


    Es gibt eine Differenz zwischen der mathematischen Fachsprache und der Unterrichtssprache bzw. der alltäglichen Sprache. Sinnzusammenhänge bleiben den Lernenden meist verborgen und Fachworte werden als fremdsprachliche Namen für abstrakte Operationen oder Objekte gelernt und häufig schnell wieder vergessen. Die Schwierigkeiten von Übersetzungsprozessen aus der Umgangssprache in die mathematische Sprache, insbesondere in die Sprache der Algebra, sind aus einer Fülle von empirischen Studien bekannt, ebenso wie Fehler beim Übersetzungsprozess in die andere Richtung, des inhaltlichen Verstehens von formalisierten Beziehungen. Dieses Spannungsverhältnis bedarf einer expliziten Bearbeitung im Lehr-Lernprozess, damit die Lernenden die Bedeutung und die Herkunft der fachspezifischen Termini wie auch die Notwendigkeit ihrer Benutzung im mathematischen Kontext begreifen können. Vielfach wird aber gerade diese entscheidende Auseinandersetzung in den Lehr-Lernprozessen nicht geführt, so dass die Fülle der Fachbegriffe sowie die Konventionen des mathematischen Sprachgebrauchs den Lernenden verschlossen bleiben. Insbesondere wird meist nicht die Chance genutzt, durch die Herstellung von kulturhistorischen Bezügen bei der Herleitung neuer Begriffe auch die Kulturabhängigkeit der Mathematik und des Mathematiktreibens systematisch aufzuzeigen (Kaiser & Schwarz, 2003).

    Hinweis: Die mathematische Symbolsprache kann erschreckend und vor allem abschreckend wirken, denn für Außenstehende klingt sie vielleicht sogar unnötig kompliziert, so als wollte man sich mit unbekannten Symbolen wichtig machen oder Komplexität in Aussagen vortäuschen, die man in normalen Worten viel einfacher darstellen könnte. In Wahrheit ist das Gegenteil der Fall, denn die Sprache der Mathematik mag nur dann verwirrend aussehen, wenn man sie nicht beherrscht, aber sobald man sie erlernt hat, wird man feststellen, dass sie die Dinge klarer und eindeutiger macht. Bei mathematischen Symbolen muss man nicht darüber diskutieren, wie sie gemeint sind, denn der Interpretationsspielraum ist im Vergleich zur normalen Sprache minimal. Damit ist die Sprache der Mathematik eigentlich das genaue Gegenteil der Sprache, die im Alltag üblicherweise verwendet wird, denn diese ist manchmal eher vage, besonders wenn man vermeiden will, sich eindeutig festzulegen. Auf diesen wesentlichen Sachverhalt sollte in jedem Mathematikunterrich am Beginn ausführlich eingegangen werden, um die Bedeutung der Symbolsprache den SchülerInnen aufzuzeigen.


    Hinzu kommt noch, dass in Mathematik viel, und zwar viel mehr als in jedem anderen Fach, eindeutig ist, was richtig und was ist falsch ist, d. h., es gibt eine ganz scharfe Grenze, um richtig und falsch bei einer Berechnung zu unterscheiden. Im Vergleich zu anderen Fächern wäre das im Grunde sogar ein Vorteil, denn etwa in Deutsch oder anderen Lerngegenständen ist nicht immer so eindeutig und nachvollziehbar, welche Antwort oder welche Formulierung richtig und welche falsch ist. Das Problem ist aber, dass aus der Sicht der Schülerin oder des Schülers dadurch die Lehrerin bzw. der Lehrer, ob er/sie es will oder nicht, die Herrin/der Herr über richtig oder falsch wird, und das begründet Macht, und Macht erzeugt Angst, und Angst zerstört auf Dauer die Motivation. Richtig und falsch sind in der Mathematik – vor allem der Schulmathematik – nicht argumentierbar!

    Um die Freude an Mathematik bei Kindern und Jugendlichen zu wecken, sollte man nach Ansicht des Mathematikers Armin P. Barth an den Anfang immer herausfordernde, aber lösbare Probleme stellen und nie Theorien, deren Relevanz diese allenfalls erst später einsehen können. Man muss die SchülerInnen dort abholen, wo sie stehen, und zwar mit Aufgaben, die sie interessieren und die etwas mit ihrem Alltag zu tun haben. Um die Motivation zu stärken, muss man ihre drei Aspekte berücksichtigen: Um das eigene Kompetenzerleben zu ermöglichen, sollte man immer wieder ermutigen und den Unterricht so gestalten, dass Erfolgserlebnisse möglich sind. Die soziale Akzeptanz der Mathematik verstärkt man, wenn man die Vorschläge von SchülerInnen aufgreift. Der dritte Aspekt, die Autonomie ist schwieriger zu erreichen, daher sollte man im Mathematikunterricht immer wieder deutlich machen, warum es sich lohnt, gewisse Dinge zu lernen und welche Probleme man damit bewältigen kann.

    Studien, die ein ein ganzheitliches Bild des Mathematikunterrichts gewinnen und einen Zusammenhang zwischen bestimmten Unterrichtsmerkmalen und dem Lernerfolg von Schülerinnen und Schülern herstellen wollen, haben festgestellt, dass Lernprozesse im Schulfach Mathematik dann offenbar besonders erfolgreich sind, wenn LehrerInnen das Vorwissen ihrer SchülerInnen berücksichtigen und Lerninhalte systematisch verknüpfen. Da gerade in Mathematik so viel vom Vorwissen abhängt, ist es auf jeden Fall wichtig, die fachlichen Kompetenzen systematisch aufzubauen und den erreichten Stand bei den SchülerInnen immer genau zu kennen.

    Besonders groß scheint nach den Studien der Entwicklungsbedarf im Bereich der kognitiven Aktivierung zu sein, denn dieses Unterrichtsmerkmal fördert das fachliche Verständnis und Lernerfolge besonders. Die kognitive Aktivierung wird dann als hoch eingeschätzt, wenn der Unterricht auf Verstehen und schlussfolgerndes Denken ausgerichtet ist, und die SchülerInnen mit herausfordernden Inhalten konfrontiert werden, die an ihr Vorwissen und ihre Erfahrungswelt anknüpfen. Hinzu kommt, dass LehrerInnen lernen müssen, ihren SchülerInnen Feedback zu geben, denn diese bräuchten vermehrt informative Rückmeldungen, die darauf eingehen, warum eine Rechenmethode geeignet oder ungeeignet ist, um den Lernfortschritte zu unterstützen.

    Es gibt nach allgemeiner Ansicht eine Notwendigkeit der Veränderung der Einstellungen und der Glaubenssysteme der Lernenden, die häufig eine Aversion und negative Einstellungen gegenüber Mathematik haben, doch auch eine Veränderung des Mathematikbildes der Lehrpersonen hin zu einer Berücksichtigung kritischer Komponenten beim Lehren und Lernen von Mathematik ist daher anzustreben. Lernende müssen dazu befähigt werden, Mathematik kompetent in einer Fülle gesellschaftlicher Kontexte anwenden zu können. Wichtig ist daher auch die Klassenführung, die mit der Einstellung der LehrerInnen zusammenhängt, wobei diese besser war, wenn die LehrerInnen selbst angaben, Freude an ihrer Arbeit mit der jeweiligen Klasse zu haben. Allerdings muss hier offen bleiben, was hierbei Ursache ist und was Wirkung. Schließlich hat sich in den Studien auch gezeigt, dass je anspruchsvoller der Mathematiklernstoff im Laufe des Unterrichts wird, desto geringer wird auch das Interesse der SchülerInnen. Dies zeigt, dass es notwendig ist, kognitive Förderung und Motivierung zusammenzubringen.

    Die Lösung dieses „mathematischen Problems“

    Schülerinnen und Schüler sollten daher im Mathematikunterricht versuchen, jene gesprochenen Verbindungen des Gerippes in ihren Mathematikheften ebenfalls in geeigneter Weise zu notieren, sodass sie später in der Lage sind, das, was „zwischen den Zeichen“ und „zwischen den Zeilen“ passiert, sich wieder in Erinnerung zu rufen. Man wird sich dabei häufig wundern, wie lange eine kurze Zeile einer Formel auf dem Papier in gesprochenen Worten tatsächlich ist.

    Übrigens findet sich ein ähnliches Notations-Problem in den naturwissenschaftlichen Fächern wie Chemie oder Physik, die bei manchen Menschen ähnliche Ängste und dadurch oft auch Ablehnung auslösen.

    Übrigens: Zwar waren die Griechen nicht die ersten, die sich mit Mathematik beschäftigten, sondern das taten schon die Babylonier und Ägypter vor ihnen, doch stammt das Wort Mathematik aus dem Griechischen, wobei das griechische Wort mathema so viel wie Erlerntes, Kenntnis oder ganz allgemein Wissenschaft bedeutet. Der Begriff mathematike techne bezeichnet somit die Kunst des Lernens bzw. zum Lernen gehörig. Für Mathematik gibt es keine allgemein anerkannte Definition, doch versteht man Mathematik üblicherweise als jene Wissenschaft, die durch logische Definitionen selbstgeschaffene abstrakte Strukturen mittels der Logik auf ihre Eigenschaften und Muster untersucht.

    Über Mathematik reden

    Es hat sich in Untersuchungen gezeigt, dass Kinder mit hoher Sprachkompetenz auch besonders gute Leistungen in Mathematik erbringen, wobei die Mathematikdidaktikerin Susanne Prediger (Technischen Universität Dortmund) zeigen konnte, dass sich die Sprache sogar stärker auswirkt als die Herkunft oder die finanzielle Lage der Eltern. Sie hat gemeinsam mit Kirstin Erath (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg) eine Untersuchung durchgeführt, bei der knapp 600 Schülerinnen und Schüler in 5. bis 7. Klassen entweder normalen Mathematikunterricht erhielten, oder sie in Kleingruppen zu Gesprächen über den Unterrichtsstoff angeregt wurden. Die Untersuchung lief dabei so ab: Die Gespräche gingen zunächst von der Lehrkraft aus. zum einen mit ganz klassischen Unterrichtsimpulsen: Wie bist du auf dein Ergebnis gekommen? Bist du dir sicher, dass das gilt? Aber man hat auch Argumentationen angeregt durch Aufgaben, die man unterschiedlich interpretieren konnte, die sich dann die Kinder gegenseitig erklärt haben, warum für sie das eine oder das andere Ergebnis sinnvoller ist. In vielen Gruppen konnten sich die Lehrkräfte dann bald zurückziehen, weil die Kinder untereinander diskutiert haben. Der Ansatz war ursprünglich, sprachlich schwache Schülerinnen und Schüler beim Mathematiklernen zu unterstützen, doch am Ende konnten nicht nur diese Kinder ihre Leistungen in Mathematik verbessern, sondern auch alle anderen, also auch die, die eigentlich keine sprachlichen Schwierigkeiten hatten.

    Finger helfen beim Mathematiklernen

    Untersuchungen haben übrigens gezeigt, dass eine visuelle Hilfe wie die eigenen Finger eine Schlüsselfunktion haben, wenn es darum geht, Mathematik zu verstehen und zu unterrichten. Menschen haben in ihrem Gehirn ein Abbild der Finger, selbst wenn man die Hände gar nicht zum Rechnen benutzt, was auch gilt, wenn man längst aus dem Alter heraus ist, dass man Dinge mit den Fingern abzählt.

    Eine Studie mit Schülern im Alter von 8 bis 13 Jahren, die komplexe Minusaufgaben lösen sollten, zeigte, dass dabei jener Bereich des Gehirns zur Wahrnehmung der Finger aktiviert wurde, auch wenn die Schüler ihre Hände gar nicht einsetzten. Die eigenen Finger sind vermutlich die beste visuelle Hilfe und entscheidend, um Mathematik zu verstehen und das Gehirn weiter zu entwickeln, und zwar bis ins Erwachsenenalter. Das Verstehen der Mathematik mit Hilfe der eigenen Finger ist vermutlich auch deshalb so entscheidend, sodass man darin einen Grund für das oft höheres mathematische Verständnis bei Klavierspielern und anderen Musikern vermutet.

    Wissenschaftler sind daher der Ansicht, wenn man Kinder davon abhält, mit ihren Fingern zu rechnen, dies deren mathematische Entwicklung behindert. Bekanntlich trauen sich viele Kinder nicht, mit ihren Fingern zu rechnen und tun dies nur heimlich unter dem Tisch. Dabei ändert sich bei Schülern, die durch bildliche Darstellungen lernen, die ganze Mathematik und gewinnen dadurch ein neues, tieferes Verständnis.

    Dupont-Boime & Thevenot (2018) haben festgestellt, dass Kinder im Alter von fünf und sechs Jahren, die im Vergleich zu Gleichaltrigen über ein besonders gutes Arbeitsgedächtnis verfügen, eher dazu neigen, Rechenaufgaben an ihren Fingern abzuzählen und mit dieser Strategie gute Erfolge erzielen. In einem Experiment ließen sie einfache Additionsaufgaben mit Summen unter und über zehn lösen, wobei mit einer versteckten Kamera aufgezeichnet wurde, ob die Kinder dabei ihre Finger zu Hilfe nahmen. Außerdem überprüfte man das Arbeitsgedächtnis der Kinder, also die Fähigkeit, Informationen kurzzeitig zu speichern und in Gedanken zu manipulieren. Dazu hörten die Versuchsteilnehmer eine Zahlenfolge, die sie sich merken und anschließend in umgekehrter Reihenfolge wieder aufsagen sollten. Bei diesen Untersuchungen fand sich ein Zusammenhang zwischen Fingerrechnen, Arbeitsgedächtniskapazität und der Anzahl an richtigen Lösungen, die die Kinder im Einzelnen erzielten. Darüber hinaus verwendeten Kinder, die über ein gutes Arbeitsgedächtnis verfügten und besser mit den Aufgaben zurechtkamen, tendenziell auch eine effektivere Strategie, um Rechenergebnisse an ihren Fingern abzuzählen. Im Gegensatz zu jenen, die mühsam versuchten, beide Summanden mit ihren Händen darzustellen, zählten sie nur mit den Fingern vom ersten Summanden an aufwärts, begannen also etwa bei der Aufgabe 4+7 mit vier Finger von sieben an aufwärts zu zählen. Dupont-Boime und Thevenot vermuten daher, dass Kinder mit einem schwächeren Arbeitsgedächtnis möglicherweise nicht dazu in der Lage sind, sich diese Strategie selbst zu erschließen, sodass man Kinder, die sich mit dem Rechnen schwertun, ermutigt werden sollten, das Fingerrechnen zu verwenden. Auf Grund anderer Untersuchungen vermutet man auch, dass diese Strategie nur bis zu einem Alter von etwa acht Jahren sinnvoll ist, denn danach kehrt sich der Zusammenhang von Rechenfähigkeit und Fingerrechnen um.

    Nicht-numerischen Basiskompetenzen müssen früh gefördert werden

    Damit Kinder später keine Probleme in Mathematik bekommen, sollte schon im Kindergarten eine altersgemäße kognitive Entwicklung gefördert werden, wobei neben den mathematischen Kompetenzen auch eine Entwicklung der nicht-numerischen Basiskompetenzen wichtig ist. Dazu zählen grundlegende Fähigkeiten wie etwa das Gedächtnis, die akustische und visuelle Wahrnehmung, das Konzentrationsvermögen und die Raumorientierung. Studien zeigen, dass die nicht-numerischen Basiskompetenzen eng mit den grundsätzlichen mathematischen Fähigkeiten zusammenhängen, denn das isolierte Üben mathematischer Kompetenzen ist wenig förderlich, wenn nicht gleichzeitig auch Übungen zur Raumorientierung gemacht werden. Wenn man Kinder schon früh mit Mengen, Formen und Zahlen umgehen lässt, dann fällt es ihnen nicht schwer, ein Verständnis für Logik, Geometrie und abstraktes, mathematisches Denken zu entwickeln.

    Lehrl et al. (2019) haben in einer Studie untersucht, wie sich das Aufwachsen von Kindern in einer Familie, in der sie schon früh zum Lernen angeregt werden, auswirkt. Im Detail wurde untersucht, wie bedeutsam die familiäre Lernumgebung in den frühen Lebensjahren für die Kompetenzentwicklung bis zur Pubertät ist. Dabei zeigte sich, dass Eltern, die ihre Kinder im Vorschulalter dazu anregen, schriftliche, sprachliche und mathematische Fähigkeiten zu entwickeln, etwa durch gemeinsames Würfelspielen oder Bilderbüchern anschauen, in weiterführenden Schulen bessere Lese- und Mathematikfähigkeiten zeigen. Das gilt auch für die Förderung in Kindergärten, denn frühere Studien hatten gezeigt, dass Erzieherinnen und Erzieher einen positiven Einfluss auf Kinder und deren mathematische und sprachliche Entwicklung haben, wenn diese gemeinsam mit ihnen Bilderbücher lesen, alltägliche Situationen sprachlich begleiten oder auch Würfel- und Brettspiele spielen.


    Musik und Mathematik im Unterricht

    Eine Studie von Ak?n (2023) hat gezeigt, dass Musikinterventionen einen positiven Effekt auf die Mathematikleistung haben können. Mathematische Fähigkeiten, mathematische Lehrinhalte, die Art der Musikintervention und das Alter waren signifikante Moderatorvariablen, während der Entwicklungsstand kein signifikanter Moderator war. Im Durchschnitt profitierten also Kindergarten- und Grundschulkinder signifikant mehr von musikalischen Einflüssen als Jugendliche oder Studenten, d. h., dass Musik am besten beim Erlernen grundlegender mathematischer Konzepte wie den Grundrechenarten hilft. Ein weiteres Ergebnis war, dass Studien, die eine integrierte Musik-Mathe-Intervention verwendeten, eine stärkere Effektgröße nachweisen konnten. Dies ist insofern bemerkenswert, als es zeigt, dass ein signifikant starker und positiver Transfer beim Mathematiklernen nur dann erreicht wird, wenn Mathematik und Musik gemeinsam in der Lernumgebung eingesetzt werden. Ein möglicher Grund für diesen Zusammenhang ist, dass sowohl Mathematik als auch Musik abstraktes Denken, quantitatives Denken und die Verwendung von symbolischen Formeln erfordern. Außerdem sind mathematische Konzepte wie Muster, Ordnung, Symmetrie, Zahlen, Verhältnisse, Brüche, Division und das Konzept des Ganzen in den Fächern Mathematik und Musik wichtig.

    In einem Interview in der Badischen Zeitung vom 30. Juni 2018 erklärt Albrecht Beutelspacher, Leiter des Museums „Mathematikum“, warum Mathematik vielen Menschen so kompliziert erscheint. Nach seiner Ansicht ist diese für viele sehr abstrakt und weit weg von dem, was man so kennt. Dass viele Menschen Probleme mit Mathematik haben liegt an zwei Dingen: „Zum einen ist da die mathematische Sprache: Bruchstriche, Klammern, Pluszeichen … Das ist, als würde man eine neue Sprache mit ganz fremden Regeln lernen müssen. Zum anderen hat Mathematik viel mit Denken und Vorstellen zu tun, da muss man sich drauf einlassen.“

    Damit Mathematik mehr Spaß macht, sollte man erkennen, dass man durch eigenes Denken etwas herauszufinden kann. Dabei muss man also etwas verstehen wollen und bereit sein, ein bisschen dabei nachzudenken, denn man bekommt Lösungen nicht durch Probieren heraus, sondern muss irgendwann die richtige Idee haben. Wichtig sind dabei die mathematischen Begriffe, d. h., es ist sinnvoll, diese zu lernen und auch mit anderen drüber zu reden, gemeinsam zu überlegen und Ideen zu entwickeln. „Es hilft auch, sich draußen umzuschauen: Kreise, Linien, rechte Winkel, Parallelen – unsere Umwelt ist voller Mathematik. Wenn man das einmal im Kopf hat, sieht man auch mehr.“

    Siehe auch
    Die Sprache der Mathematik

    Didaktik in der Mathematik


    Übrigens wird 2018 ein Heft im Journal für Mathematik-Didaktik erscheinen, das sich mit der Psychologie als Bezugsdisziplin der Mathematikdidaktik beschäftigt. Dort heißt es: „In zahlreichen Studien der jüngeren Vergangenheit werden zur Untersuchung mathematikdidaktischer Fragestellungen auch psychologische Theorien und Modelle herangezogen. Beispielsweise werden zum besseren Verständnis von Lernschwierigkeiten bei Brüchen neben fachlichen Aspekten auch die kognitiven Verarbeitungsprozesse betrachtet. Gerade weil es enge Beziehungen zwischen Psychologie und Mathematikdidaktik gibt, stellt sich die Frage nach der spezifischen Rolle der Psychologie für die mathematikdidaktische Forschung. In welchen Bereichen der aktuellen mathematikdidaktischen Forschung sind psychologische Ansätze besonders einflussreich? Inwiefern sind solche Ansätze hilfreich und nützlich, um konkrete mathematikdidaktische Fragestellungen zu beantworten, und wo liegen Grenzen?
    Übrigens: Die Einladung der ausgewählten Beiträge durch die Herausgeber erfolgt im Juli 2016. Die Manuskripte sind dann bis zum 31.12.2016 fertigzustellen. Das Heft wird 2018 erscheinen.


    Das Projekt „Mahiko“, kurz für „Mathehilfe kompakt“ nimmt sich der Lernlücken an, die im Fach Mathematik besonders schwerwiegend sein können, denn wer einmal den Anschluss verliert, kommt in Zukunft nicht mehr mit, weil die Grundlagen fehlen. An der TU Dortmund im Rahmen des Deutschen Zentrums für Lehrerbildung Mathematik hat man auf der Mahiko-Webseite wissenschaftliche Erkenntnisse speziell für Eltern und andere fachfremde Mathehelferinnen und -helfer aufbereitet und umfangreiches Material entwickelt. Zahlreiche Videos zeigen, wie Eltern – aber auch pädagogisches Personal zum Beispiel aus der Ganztagsbetreuung – Kinder beim Lernen von Mathematik helfen können. Sie erhalten zunächst grundlegende Informationen darüber, wie Kinder lernen und rechnen. Außerdem erfahren sie, welches Material sie einsetzen und wie sie mit Kindern richtig üben können. Aktuell stehen Inhalte für die ersten beiden Schuljahre zur Verfügung, das dritte und vierte Schuljahr folgen in den kommenden Monaten. Kurze Videos erklären die einzelnen Themen und deren Bedeutung für das Mathelernen. Darauf aufbauend werden Übungsideen und -materialien oder geeignete Spiele angeboten. Ergänzt wird das Angebot durch Mahiko-Kids-Lernvideos, die sich speziell an Kinder richten und ihnen Inhalte und Übungen anschaulich erklären.

    Link: https://mahiko.dzlm.de/



    Literatur

    Ak?n, Ayça (2023). Let me make mathematics and music together: A meta-analysis of the causal role of music interventions on mathematics achievement. Educational Studies, 1-19.
    Dupont-Boime, J. & Thevenot, C. (2018). High working memory capacity favours the use of finger counting in six-year-old children. Journal of Cognitive Psychology, 30, 35-42.
    Lehrl, Simone, Ebert, Susanne, Blaurock, Sabine, Rossbach, Hans-Günther, Weinert, Sabine (2019). Long-term and domain-specific relations between the early years home learning environment and students’ academic outcomes in secondary school.S chool Effectiveness and School Improvement, doi:10.1080/09243453.2019.1618346.
    Kaiser, G. & Schwarz, I. (2003). Mathematische Literalität unter einer sprachlich-kulturellen Perspektive. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 6, 357-377.
    Niederdrenk-Felgner, C. (1997). Mathematik als Fremdsprache (S. 387-390). In Müller, K. P. (Hrsg.): Beiträge zum Mathematikunterricht: Vorträge auf der 31. Tagung für Didaktik der Mathematik vom 3. bis 7. März 1997 in Leipzig. Hildesheim.
    Stangl, W. (2022, 28. Oktober). Über Mathematik reden. Pädagogik-News.
    https:// paedagogik-news.stangl.eu/ueber-mathematik-reden.
    Stangl, W. (2023, 10. Juli). Musik und Mathematik im Unterricht. Pädagogik-News.
    https:// paedagogik-news.stangl.eu/musik-und-mathematik-im-unterricht.
    http://www.spektrum.de/news/kinder-mit-gutem-gedaechtnis-rechnen-mit-den-fingern/1553228 (18-03-20)
    http://www.badische-zeitung.de/neues-fuer-kinder/wie-eine-neue-sprache–154077608.html (18-06-30)
    Der Mathematiker Armin P. Barth im Interview vom 25. September 2018 mit dem Badener Tagblatt.
    https://www.spektrum.de/kolumne/symbole-in-zeiten-der-pandemie/1722960 (20-04-22)
    https://kurier.at/freizeit/leben-liebe-sex/angst-vor-mathe-lernquadrat-umfrage/401776365 (21-10-23)
    https://www.magazin-schule.de/magazin/sprache-und-mathematik-wie-reden-beim-rechnen-hilft/ (22-10-28)

    Ein Gedanke zu „Warum ist Mathematik so schwer zu lernen?“

    1. Eine Studie zeigte übrigens, dass Kinder einen Sinn für Zahlen haben, noch bevor sie Mathematikunterricht haben. In einem Experiment mussten Kinder und Erwachsene Rechenaufgaben lösen. wobei die Erwachsenen es dabei wie gewohnt mit Zahlen zu tun bekamen, während die Kinder ihre Aufgaben auf einem Bildschirm Bilder mit Blumen und Punkten erhielten. Die Rechenaufgabe war für beide Gruppen gleich, wobei es darum ging, Mengen zu beurteilen und Größenverhältnisse abzuschätzen. Es zeigte sich, dass die Erwachsenen ihre Aufgaben fast zu 90 % lösten, während es bei den Kindern im Schnitt immerhin über 70 % waren.

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