Ein Gedicht auswendig zu lernen ist leider heute nicht mehr so üblich wie noch vor einigen Jahrzehnten, dabei ist das nicht nur eine Gedächtnisschulung, sondern auch eine Übung, um sein Sprachgefühl zu üben. Auch wird durch die poetische Sprache der Sprachschatz erweitert, ganz abgesehen von dem Gefühl, das man mit der Zeit für eine Epoche oder einen Dichter entwickelt.
Gedichte der Klassiker sind in der Regel keine schnellen Entwürfe, sondern meist in vielen Versionen geschliffene Texte.
Gedichte auswendig zu lernen ist übrigens auch für Erwachsene eine gute Möglichkeit, entweder die in der Schulzeit gelernten Gedichte zu wiederholen bzw. nochmals zu lernen, aber auch vielleicht neue zu probieren. Damit das besser gelingt, ein kleiner Lerntipp bzw. eine Methode, bei dem man ein Gedicht fast spielerisch erlernen kann;
- Zuerst liest man das Gedicht ein bis zwei Mal langsam ganz durch.
- Dann deckt man mit einem Blatt Papier das rechte Drittel der Gedichtzeilen ab und liest es noch einmal. In den meisten Fällen wird es schon beim ersten Mal gelingen, die Zeilenenden auswendig zu sprechen. Wenn nicht, zieht man einfach das Abdeckblatt eine Zeile nach unten und wiederholt die Zeile noch einmal.
- Wenn man das zwei bis drei Mal getan hat, verdeckt man mit dem Blatt ein weiteres Drittel der Zeilen. Nun wird man feststellen, dass man schon viele Zeilen komplett richtig wiedergeben kann, obwohl große Teile von ihnen noch verdeckt sind. Wenn man nicht weiter weiß, dann verfährt man wie im vorigen Schritt.
- Nun ist es zum kompletten Aufsagen nur noch ein kleiner Schritt, wobei es jetzt darauf ankommt, sich die Übergänge von einer Zeile zur anderen einzuprägen, was bei gereimten Gedichten etwas leichter funktioniert als bei nicht gereimten.
Übrigens kann man diese Methode auch beim Erlernen von fremdsprachigen Gedichten anwenden, wobei hier ein zusätzlicher Effekt in Bezug auf die Erweiterung des Wortschatzes hinzukommt.
Extratipp: Für den Anfang sollte man sich nur ein kürzeres Gedicht suchen, etwa „Der Morgen“ von Joseph von Eichendorff
Fliegt der erste Morgenstrahl
Durch das stille Nebeltal,
Rauscht erwachend Wald und Hügel:
Wer da fliegen kann, nimmt Flügel!
Und sein Hütlein in die Luft
Wirft der Mensch vor Lust und ruft:
Hat Gesang doch auch noch Schwingen,
Nun, so will ich fröhlich singen!
Hinaus, o Mensch, weit in die Welt,
Bangt dir das Herz in krankem Mut;
Nichts ist so trüb in Nacht gestellt,
Der Morgen leicht machts wieder gut.
Wie ein Schauspieler ein Gedicht lernen
Klassische Gedichte bedienen sich manchmal der Sprache eines anderen Jahrhunderts, sodass es manchen Kindern oft schwer fällt, sich diese einzuprägen. Eine Möglichkeit ist es, den Text wie ein Schauspieler zu lernen, indem man den Text mit eigenen Handlungen verbindet. So kann man sich während einer Strophe die Weste oder seine Jacke ausziehen, nach einem Gegenstand greifen und ihn analog zum Geschehen im Gedicht einsetzen oder sich im Rhythmus des Verses bewegeb. Das Geheimnis dieser Lernmethode ist die Verbindung eines Textes mit einem motorischen Ablauf, wobei in vielen Fällen auch der Spaß hinzukommt, den man bei der Erarbeitung des Gedichtes. Bei der Wiedergabe des Gedichtes ist es dann meist nicht notwendig, diese Bewegungen alle auch durchzuführen, da man sich diese dann einfach auch vor seinem inneren Auge vorstellen kann.
Versuche es einmal mit dem Eichendorff-Gedicht, in dem jede Menge Bewegung enthalten ist!
Größter Fehler beim Auswendiglernen
Beim auswendigen Aufsagen beziehungsweise Üben von Gedichten wird es immer wieder Stellen geben, an denen man nicht weiter weiß. Dann sollte man nicht den Fehler machen, wieder ganz von vorne anzufangen, um dann vielleicht erneut über diesen Fehler zu stolpern. Richtig ist: Mache es wie die Musiker, die bei einer schwierigen Stelle, an der sie einen Fehler machen, nicht das ganze Stück wiederholen, also das, was sie ohnehin können, sondern sie konzentrieren sich nur auf diesen Abschnitt. Sie beginnen daher mit dem Üben unmittelbar vor der Fehlerstelle und arbeiten so lange, bis sie diesen Abschnitt perfekt beherrschen! Diese Methode kann sehr viel Zeit ersparen!
Allgemeines zum Auswendiglernen
*** Hier KLICKEN: Das BUCH dazu! *** Auswendiglernen hat für viele Menschen keinen guten Klang, auch wenn es heute oft unter dem Begriff Gehirnjogging daherkommt. Früher war es selbstverständlich, denn Jahrtausende lang gehörte das Auswendiglernen heiliger oder profaner Texte, langer Gedichte oder Prosatexte wie Lesen und Schreiben zu jeder Erziehung. In der Antike zählte die memoria, also die Einprägung eines Textes durch bestimmte Techniken, zu den fünf Verfertigungsschritten einer Rede. Aber auch in späteren Jahrhunderten war es Teil vor allem der religiösen Praxis und Ausbildung, es übte das Gedächtnis, bereicherte den Wortschatz und gab den Lernenden die Möglichkeit, Teile des Kanons immer bei sich zu tragen, nämlich in ihrem Kopf. Einen Text auswendig zu können, im Gedächtnis zu bewahren und ihn damit dem Zugriff von außen zu entziehen, kann lebensrettend sein, wie die Schilderung Primo Levis über seine Auschwitz-Erfahrung „Ist das ein Mensch?“ zeigt. Hier berichtet der Ich-Erzähler, wie er dem Mitinsassen Jean mithilfe von Dantes „Göttlicher Komödie“ Italienisch beibringt. Auf dem Weg zur Suppenausgabe rezitiert er den berühmten „Gesang des Odysseus“ und erläutert jede einzelne Terzine, sodass diese Imagination den beiden einen Schutzraum inmitten der Barbarei bietet.
Beim Gedichtelernen übt man, im Text Strukturen zu suchen, zu entdecken oder sich diese auch selbst zu schaffen, wobei das etwas Allgemeines ist, das man auch im Alltag gebrauchen kann. Das menschliche Gehirn geht nämlich sehr systematisch vor, wenn es etwa um Computerpasswörter oder um Telefonnummern geht, es sucht nach Mustern und Strukturen wie den berühmten Eselsbrücken, die beim Abspeichern helfen. Beim Auswendiglernen legt man im Gedächtnis nämlich zwei Spuren an, eine sprachliche und eine über die Bedeutung. Eine Bedeutungsstruktur sich zu merken ist einfacher, auf der sprachlichen Ebene helfen dabei etwa Reim und Rhythmus. Das Gehirn lässt sich aber nicht nur mit Gedichten, sondern aber auch sehr gut mit Kartenspielen trainieren, denn im Laufe eines Spiels muss man sich über einen längeren Zeitraum merken, welcher Spieler wann welche Karten abgelegt hat.
Literatur
https://www.deutschlandfunk.de/endlich-mal-erklaert-nutzt-auswendiglernen-nur-den-grauen.691.de.html (20-08-04)
Hi
Danke für den Tipp, hatt mir echt total gut geholfen. Danke, Danke, Danke!!! 🙂
Dass hier von Danone geworben wird, ist schon ein kurioser Zusammenhang zu Gedichten: Zeige uns deine Verführungskünste & gewinne eine Romantik-Wochenende 😉
LOL