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Warum TikTok-Tipps selten zum Schulerfolg führen

    Lernposter

    In sozialen Netzwerken wie TikTok, Instagram oder YouTube werden täglich zahllose Lerntipps verbreitet, oft von Laien ohne pädagogische oder wissenschaftliche Ausbildung. Besonders beliebt sind dabei sogenannte Gedächtnistechniken wie der „Gedächtnispalast“ oder die „Loci-Methode“, die ursprünglich aus der antiken Rhetorik stammen und heute durch Gedächtnissport-Veranstaltungen oder Showformate bekannt sind. Solche Techniken werden auf Social Media nicht nur als spektakuläre Gedächtnistricks präsentiert, sondern häufig auch als vermeintlich effektive Lernmethoden für Schule oder Studium empfohlen – was problematisch ist.

    Zwar zeigen Studien, dass Mnemotechniken wie die Loci-Methode durchaus wirksam sein können, wenn es um das Memorieren von Listen oder abstrakten Fakten geht (Bellezza, 1981; Gruber & Müller, 2009). Jedoch ist ihr Nutzen im alltäglichen Lernen deutlich begrenzt. Wer beispielsweise Vokabeln einer Fremdsprache lernen möchte, profitiert langfristig viel stärker von kontextgebundenem und bedeutungsvollem Lernen – also von Methoden, die ein semantisches Verständnis und aktives Sprachhandeln fördern (Neubauer & Holzinger, 2020). Der Versuch, jedes Wort bildlich in einem imaginären Raum zu verankern, ist zudem zeitaufwendig, kognitiv überfordernd und für viele schlicht ineffizient.

    Ein zentrales Problem besteht darin, dass viele dieser Techniken in sozialen Medien stark vereinfacht oder sogar verzerrt dargestellt werden. Beeindruckende Leistungen von Gedächtnissportler:innen – wie das fehlerfreie Merken langer Zahlenreihen – sind in der Regel das Resultat jahrelanger, spezialisierter Übung und lassen sich nicht ohne Weiteres auf das schulische Lernen übertragen (Maguire et al., 2003; Gruber & Müller, 2009). Dennoch suggerieren viele Social-Media-Beiträge das Gegenteil: Wer den „richtigen Trick“ kennt, lerne schneller, besser und ohne Anstrengung. Solche Versprechungen erzeugen oft falsche Erwartungen, Frustration und lenken von bewährten Strategien ab.

    Evidenzbasierte Lernforschung zeigt hingegen, dass nachhaltiger Lernerfolg vor allem durch einfache, aber wirksame Methoden erreicht wird: Verteiltes Wiederholen (Spaced Practice), aktives Abrufen von Wissen (Retrieval Practice), elaborierendes Lernen sowie Selbsttests und Fehleranalyse gelten als besonders effektiv (Dunlosky et al., 2013; Dresel & Berner, 2013). Diese Strategien sind nicht spektakulär, dafür aber gut belegt und in jeder Altersstufe anwendbar.

    Hinzu kommt ein weiterer Aspekt: Die Inszenierung von Lernen als „Hack“, als Abkürzung oder Trick, verkennt die komplexe Natur von Bildung. Lernen erfordert Wiederholung, Anstrengung, Reflexion und Fehler. Wer stattdessen auf schnelle Gedächtnistechniken setzt, verliert leicht den Blick für das Wesentliche – nämlich ein tiefes Verständnis der Inhalte, die Fähigkeit zur Anwendung und die Entwicklung einer eigenständigen Lernhaltung. Es ist daher wichtig, Lernende über die begrenzte Wirksamkeit solcher Social-Media-Tipps aufzuklären und sie stattdessen für fundierte, alltagsnahe Lernstrategien zu sensibilisieren.



    Literatur

    Bellezza, F. S. (1981). Mnemonic Devices: Classification, Characteristics, and Criteria. Review of Educational Research, 51(2), 247–275. https://doi.org/10.3102/00346543051002247
    Dresel, M., & Berner, J. (2013). Lernstrategien im schulischen Kontext. In J. Möller & O. Zlatkin-Troitschanskaia (Hrsg.), Handbuch der Schulpädagogik (S. 308–314). Klinkhardt.
    Dunlosky, J., Rawson, K. A., Marsh, E. J., Nathan, M. J., & Willingham, D. T. (2013). Improving Students’ Learning With Effective Learning Techniques: Promising Directions From Cognitive and Educational Psychology. Psychological Science in the Public Interest, 14(1), 4–58. https://doi.org/10.1177/1529100612453266
    Gruber, H., & Müller, C. (2009). Gedächtnistraining oder Lerntraining? Zur Anwendbarkeit mnemonischer Techniken im Alltag. Psychologie in Erziehung und Unterricht, 56(1), 19–28.
    Maguire, E. A., Valentine, E. R., Wilding, J. M., & Kapur, N. (2003). Routes to remembering: The brains behind superior memory. Nature Neuroscience, 6(1), 90–95. https://doi.org/10.1038/nn988
    Neubauer, A., & Holzinger, M. (2020). Lernen lernen: Strategien und Methoden für Studium und Schule. Beltz.


    Siehe dazu auch
    die zahlreichen falschen Lerntipps,
    die im Internet kursieren!


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