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Die Mitschrift im Studium

    Wie schreibt man in einer Vorlesung richtig mit?

    „Richtig“ ist immer das, was zu der Person passt, also zu seiner Lerngeschichte, seinen bisherigen Gewohnheiten. Alle Tipps sind daher immer relativ zu betrachten, denn was bei dem einen funktioniert, kann beim anderen überhaupt nicht passen. Aber es gibt eine Grundregel: Wenn man das Gefühl hat, dass seine eigene Methode nicht so optimal ist, sollte man konsequent einmal etwas anderes ausprobieren.

    Auch ist zu fragen, wofür die Mitschrift dient. Wenn man nur den Inhalt im Sinne eines Protokolls festhalten will, sollte man eine andere Methode wählen als wenn das Mitschreiben einer Prüfungsvorbereitung dient. Im letzteren Fall kann man mit einer fragenden Einstellung an die Mitschrift herangehen, etwa in dem Sinn: könnte der präsentierte Inhalt eine Prüfungsfrage sein, d.h., man versucht aus dem Vortrag herauszuhören, welche Fragen zum Stoff sinnvoll sein könnten. Man kann das dann auch als Frage notieren und nachher mit einer Antwort ergänzen.

    Lieber gut zuhören oder möglichst viel mitschreiben?

    Mitschreiben heißt zuhören, d.h., wer nicht zuhören kann, kann auch nicht mitschreiben. Dieses Zuhören ist aber nicht passiv, sondern ein echtes Hinhören, also ein gedankliches Verfolgen. Dabei muss man den Spagat zwischen Zuhören und Notieren finden, denn der Vortragende hört ja nicht auf, damit man Notizen anfertigen kann (wäre übrigens ein Tipp für DozentInnen, einmal kurze Pausen zu machen, damit die KommilitonInnen schreiben können ;-).

    Worauf kommt es dabei an?

    Mitschreiben heißt immer auch auswählen, denn wer alles mitschreiben will, kann nicht mehr zuhören. Und außerdem soll eine Mitschrift etwas Gesagtes ja auch nicht dokumentieren. Beim Mitschreiben muss man Sinnvolles von weniger Sinnvollem, Wichtiges von weniger Wichtigem und Unwichtigem unterscheiden. Mitschreiben heißt den Überblick bewahren, sodass man erst dann Gesagtes schriftlich fixieren kann, wenn ein Sinnabschnitt beendet ist. Ein grundlegender Fehler vieler StudentInnen ist zu glauben, dass eine möglichst vollständige Mitschrift besser ist als ein paar Stichworte, die man nachher ergänzen kann.

    Wie unterscheide ich Wichtiges von Unwichtigem?

    Wenn man gut zuhört, dann kann man das an Betonungen oder Wiederholungen des Vortragenden erkennen. Wichtig ist es daher, den Blickkontakt zu den Vortragenden aufrecht zu erhalten und nicht nur auf seinen Block konzentriert zu sein.

    Wie viel/was sollte man sich prinzipiell notieren? Ganze Sätze? Stichpunkte?

    Wenn man noch Stenographieren kann, ist man sicher im Vorteil. Grundsätzlich sollte man nur Stichwörter und Wortgruppen notieren mit entsprechend viel Raum daneben, denn es ist empfehlenswert, unmittelbar nach einer Vorlesung, diese Notizen zu ergänzen. Das ist auch lernpsychologisch von Vorteil, da dadurch eine aktive Rekapitulation des Lernstoffes stattfindet, was das nachhaltige Einprägen erleichtert. Diese Nachbereitung ist lernpsychologisch ohnehin eine der wichtigsten Dinge, denn da hat man noch den Inhalt einigermaßen präsent, was am nächsten Tag wohl nicht der Fall ist. Übrigens empfehle ich etwa bei Vorliegen eines Skriptums sich auf die Vorlesung vorzubereiten, also voraus zu lesen und sich dann auf das Zuhören zu konzentrieren. Als Einstieg ist aber auch schon hilfreich, sich die Mitschrift vom letzten Mal durchzusehen und so Kontinuität und einen Einstieg zu schaffen.

    Wenn Aufzeichnungen mit Handys oder anderen Geräten erlaubt und möglich sind, kann man das auch versuchen, allerdings kommt es dadurch zu keiner Reduktion des Stoffes, was ja auch das Ziel einer Mitschrift ist. Sinnvoll kann diese Methode dann sein, wenn man nachträglich eine schwierige Passage nochmals an Hand der Aufzeichnung im Original anhören kann. Aber es ist kaum zielführend, eine Vorlesung sich einige Male zur Prüfungsvorbereitung anzuhören, denn der Einprägungswert ist eher gering.

    Was kann man falsch machen?

    Eine Methode wählen, die nicht zu seinen Lerngewohnheiten passt. Generell wird meist zuviel mitgeschrieben und zuwenig zugehört. Vor allem die schon erwähnte Nachbereitung liegt bei den meisten im Argen, wobei gerade dieses Nacharbeiten lernpsychologisch betrachtet eines der wichtigsten Punkte ist. Die Frage ist daher eher:

    Was kann man richtig machen?

    Sich einmal generell Gedanken über die Art und Weise machen, wie man bisher mitgeschrieben hat und ob sich da nicht das eine oder andere verbessern ließe. Richtig sein kann es etwa, das richtige Papierformat zu wählen – vielleicht ist liniertes Papier nicht zu einschränkend. Wie viel Raum lasse ich in den Aufzeichnungen für Ergänzungen? Kann ich für mein Fach eine Sammlung von Abkürzungen oder Siglen

    Was mache ich mit den Mitschriften? Noch mal abtippen?

    Abtippen bringt wenig, es sei denn, man hat eine so schlechte Handschrift, dass man seine eigenen Aufzeichnungen nach ein paar Tagen nicht mehr lesen kann. Das führt gleich zur Antwort auf die nächste Frage:

    Was ist besser, Laptop oder Block?

    Ganz abgesehen davon, dass der Laptop viel zu störend ist, bringt auch das Schreiben damit eine Fokussierung der Gehirnkapazität auf die Schreibautomatismen, die dann beim Zuhören und Auswählen fehlt. Hinzu kommt, dass man in der Art und Weise viel zu unflexibel ist, etwa beim Skizzieren oder einer kleinen Tabelle oder Gegenüberstellung, indem man das Blatt mit einem Strich unterteilt. Diese Strukturierung ist etwa bei einer Prüfungsvorbereitung zentral, denn das hilft, von der für das Einprägen im Gehirn nicht geeigneten Linearität wegzukommen.

    Einschub: Die menschliche Handschrift ist ein Kulturgut mit einer langen Tradition und spielt eine wichtige Rolle im Lese- und Schreiberwerb, wobei mit der Hand zu schreiben die Erinnerungsleistung der geschriebenen Inhalte fördert und die Vorstellung dessen erhöht, worüber man schreibt. Deshalb ist im Vergleich zum Schreiben auf dem Computer oder einer Schreibmaschine auch die kreative Leistung höher, denn das Schreiben auf Papier aktiviert das Gehirn ganzheitlicher als das Tippen auf einer Tastatur. Die lateinische Ausgangsschrift bildet den Einstieg für die individuelle Handschrift, die sich zu einer bewegungsökonomischeren Schrift entwickelt, denn jeder Mensch wird die Buchstaben mit der Zeit vereinfachen, Richtungswechsel vornehmen oder öfter absetzen. Das motorische Lernen beginnt, wenn man schnell schreiben muss, denn dann wirft man alles über Bord, was die Geschwindigkeit behindert. Es gibt Vergleichsstudien zwischen Studenten, die in der Vorlesung mittippen und solchen, die in der Vorlesung mitschreiben, wobei sich zeigte, dass sich bei den Schreibern die Information besser im Gehirn verankert, während sich die Tipper im Nachhinein weniger gut an die Präsentation erinnern konnten. Das liegt vermutlich daran, dass Schreibende mehr Modalitäten im Gehirn nutzen. Man kann davon ausgehen, dass die gesamte kognitive Entwicklung von Kindern durch Schreiben stärker befruchtet wird als durch Tippen, weil mehr benachbarte Funktionen wie Vorstellungskraft, Kreativität, Rechtschreibung, Erinnerungsvermögen dadurch angeregt werden.
    Quelle: Christian Marquardt in der Wiener Zeitung vom 10. Februar 2015

    Übrigens: Früher lernten GrundschülerInnen die Handschrift mit viel Drill, wobei noch vor den ersten Leseübungen Tafeln und Hefte seitenweise mit geschwungenen Buchstaben gefüllt wurden, doch heute lernen Kinder meist gleichzeitig Lesen und Schreiben und das zuerst mit Druckbuchstaben. Erst später übt man die Schreibschrift, sodass es zu einer feinmotorischen Verarmung kommt, denn in Tests zeigt sich, dass viele SchülerInnen der ersten Klasse nicht in der Lage sind, eine Plastillinstange weich zu kneten oder feine Schneideaufgaben zu erledigen. Das liegt daran, dass die Hand ein hochkomplexer Apparat mit über dreißig Muskeln ist, dessen Steuerung gelernt werden muss, was bei einem Verzicht auf Übungen zur Schreibmotorik nicht ausreichend geschieht. Offenbar führt auch die meist sehr frühe Nutzung von Smartphones und Tablets nicht zu einer entsprechenden Schulung der Feinmotorik!

    Ich empfehle auch lose Blätter und nur das einseitige Beschreiben, denn dann kann man bei der Prüfungsvorbereitung den Stoff z.B. auf dem Fußboden verteilen, ihn umgruppieren und umordnen. Für das Einprägen kann das recht hilfreich sein, von der Linearität, die eine Vorlesung und eine exakte Mitschrift ja von Natur aus mitbringt, wegzukommen.

    Bei der Nachbereitung kann man dann mit Textmarkern arbeiten – die übrigens für das Arbeiten mit Skripten völlig ungeeignet sind, aber das ist eine andere Geschichte.

    Wie haben das andere berühmte Studenten gemacht? Gibt es da Anekdoten?

    Leider kann ich Ihnen dazu nichts wirklich Unterhaltsames liefern. Ich selber habe fast alle Vorlesungen mitstenographiert und dann mit der Hand in Reinschrift für das Lernen übertragen, wobei ich bei dieser Methode praktisch kaum mehr Lernen oder Wiederholen musste. Leider lernt heute kaum noch jemand eine Form der Kurzschrift, die man fast „automatisiert“ ohne auf das Blatt zu schauen einsetzen konnte.

    Linktipps

    Unter meinen Arbeitsblättern für StudentInnen finden sich zahlreiche Tipps und Anregungen, wie man das Mitschreiben gestalten kann: https://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/LERNTECHNIK/Mitschrift.shtml
    Für Schüler aber auch für StudentInnen sinnvoll kann ein Format wie die Wunderseite sein: http://schule.lerntipp.at/19/
    Mit einiger Übung kann auch die Methode der Mindmap helfen, den Lernstoff gleich zu strukturieren: https://studium.lerntipp.at/mitschrift/methoden.shtml

    Dieser Text zur Mitschrift im Studium entstand übrigens für einen Journalisten, der dann aus Platzmangel in der Zeitschrift folgenden Text daraus verdichtete:

    Was muss ich wirklich  mitschreiben?
    »Wer jedes Detail mitschreibt, kann nicht mehr richtig zuhören. Um Wichtiges von Unwichtigem zu trennen, versuchen Sie, aus dem Vortrag herauszuhören, welche Fragen zum Stoff sinnvoll sind – und eventuell auch in einer Prüfung drankommen können. Notieren Sie die Antworten erst, wenn der Dozent einen Sinnabschnitt beendet hat.«
    Dr. Werner Stangl lehrt am Institut für Pädagogik und Psychologie der Johannes Kepler Universität Linz



    4 Gedanken zu „Die Mitschrift im Studium“

    1. Gerald Lembke, Duale Hochschule Baden-Württemberg in Mannheim, ist gegenüber digitalen Medien zum Erlernen des Schreibens skeptisch, denn er ist der Überzeugung, dass digitale Hilfsmittel in der Bildung bis zum zwölften Lebensjahr keine nennenswerten positiven Effekte erbringen. Erst danach sind Kinder reif genug, Computer zum Lernen zielgerichtet einzusetzen, denn kaum jemand erwartet von Smartphones und Tablets ernsthaft, dass sie die Fantasie, Kreativität oder gar Empathie erhöhen, auch wenn es spezielle Programme gibt, die genau das versprechen. Die Geräte sind zwar keine große Gefahr, solange die Eltern die Kinder damit vernünftig vertraut machen, aber nicht zu früh und ohne dass dadurch Erfahrungen mit den Mitmenschen leiden. Vielleicht lernen die Kinder dann sogar das eine oder andere schneller und besser.

    2. Studien zur Handschrift

      Studien bestätigen, dass das Schreiben mit der Hand dazu führt, Informationen stärker zu reflektieren, und so zu einem besseren Verständnis und Gedächtnis. Wenn Studenten Zeit haben, sich anhand ihrer Notizen auf Prüfungsfragen vorzubereiten, schneiden jene besser ab, die mit der Hand mitgeschrieben haben. Das Schreiben mit der Hand zwingt, sich auf das Wichtige zu konzentrieren und dadurch hilft es, besser zu denken.

    3. Vielen Dank für den Artikel und die tollen Tipps 😉 Ich bin immer geneigt, viel zu viel mitzuschreiben, so dass dann alles viel zu unübersichtlich wird – gerade bei den Prüfungsvorbereitungen wird das dann schwierig ;( Habe mich jetzt mal mehr an deinen Hinweisen orientiert und siehe da, es funktioniert tatsächlich 😉 Ich hoffe, dass viele deinen Beitrag lesen und sich die Tipps zu Herzen nehmen. Wenn man Mitschriften bei Unidog.de oder http://www.uniturm.de runterlädt, sieht man, dass das ein echt weit verbreitetes Problem ist.

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