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Halbwahre Lerntipps

    Auf einer Website, die ein „Studium-Ratgeber“ sein möchte und sich als „Studium-Guide für StudentInnen rund um Studium, Praktika, Job & Karriere“ ausgibt, findet man wieder einmal Lerntipps, die sich aus einer sehr verkürzten und leider deshalb sehr fragwürdigen Kenntnis der wissenschaftlichen Tatsachen des menschlichen Lernens eher als kontraproduktiv erweisen, wenn man sich tatsächlich an sie hält. Einer der fünf Lerntipps – in den übrigen verkauft man ein eher überholtes Konzept des „Schnelllesens“, das Zeitmanagement, die fragwürdige „Lerntypenmethode“ und das altbekannte Karteikartensystem – nennt sich nun „Die Pause als Lernmethode„. Zunächst heißt es vollmundig: „Irgendwann wird Lernen grenzwertig. Nicht etwa, weil es mit dem Sinn des Lebens im Allgemeinen kollidiert. Vielmehr verliert Lernen am Stück ab einem gewissen Zeitpunkt stark an Effektivität. Diese Erfahrung hast du sicherlich auch schon gemacht: Es hilft, dem Gehirn kurze Verschnaufpausen zu gönnen und nicht stundenlang durchgehend zu lernen. Diese Pausen wirken regenerativ, stress-abbauend und vor allem: die Lerneinheit danach wird deutlich effektiver!
    Diese Einleitung soll durch die direkte Anrede wohl die Motivation erhöhen, die nun folgende Liste überzeugender aussehen zu lassen. Auf die nun genannten fünf Punkte soll aus lernpsychologischer Sicht eingegangen werden, um die eingangs aufgestellte These zu untermauern:

    Ein Lernblock sollte nicht mehr als 60 Minuten umfassen. Danach ist eine Pause von mind. 5 Minuten empfehlenswert.

    Lernblöcke kann man nicht nach festen Zeiteinheiten planen, sondern muss dabei die Rahmenbedingungen (z.B. Tageszeit, Verfassung des Lernenden, Schwierigkeit des Stoffes) mit berücksichtigen. Die genannten 5 Minuten sind nach einem Lernblock natürlich viel zu gering, da das Gehirn nach einem solchen Lernblock etwa zwei Stunden lang mit der Verarbeitung beschäftigt ist, sodass eine solche kurze Pause unweigerlich zu Interferenzen (Lernhemmungen) führt.


    Wissenschaftliches: Albulescu et al. (2022) haben in einer Überblicksarbeit die Wirksamkeit von Mikropausen in Bezug auf die Verbesserung des Wohlbefindens (Vitalität und Ermüdung) und der Leistung abzuschätzen und zu ermitteln versucht, unter welchen Bedingungen und für wen die Mikropausen am wirksamsten sind. Dabei wurde vorhandene Daten aus experimentellen und quasi-experimentellen Studien zusammengetragen, wobei sich statistisch signifikante, aber geringe Auswirkungen von Mikropausen auf die Steigerung der Vitalität, eine Verringerung der Müdigkeit und eine nicht signifikante Wirkung auf die Steigerung der Gesamtleistung zeigten. Signifikante Effekte konnten nur für Aufgaben mit geringeren kognitiven Anforderungen gefunden werden, wobei die Leistungssteigerung umso größer war, je länger die Pause war. Insgesamt sprechen die Daten für die Bedeutung von Mikropausen für das Wohlbefinden, während für die Erholung von sehr anstrengenden Aufgaben möglicherweise mehr als zehnminütige Pausen erforderlich sind. Zusammengefasst dienen ganz kurze Pausen offenbar nicht der Erholung, sondern der Vorbeugung von Übermüdung, wobei diese eher früher als zu spät genommen werden sollten bzw. auch individuell angepasst werden sollten.


    Sofern möglich, ist es geschickter, wenn du von Lernblock zu Lernblock inhaltliche Abwechslung schaffst.

    Auch diese Anweisung ist aus mehreren Gründen fragwürdig, da der Mensch nur ein Gehirn hat und damit nur ein Verarbeitungszentrum für kognitive Inhalte, kann der übliche Lernstoff noch so unterschiedlich sein, er wird dennoch die gleichen Verarbeitungskapazitäten im Gehirn nützen. Im Zusammenhang mit den empfohlenen 5 Minuten Pause ergibt sich zusätzlich der Effekt, dass etwa die Verarbeitung des Englisch-Lernens vor den Mathematikaufgaben die Konzentrationsfähigkeit stark reduziert, und die notwendige Anstrengung, diese hoch zu halten, verhindert, dass sich der Englisch-Lernstoff im Gehirn verfestigt. Kurioserweise wird nun genau dieser Sachverhalt im nächsten Punkt angesprochen:

    Aber vor allem: Häng dich in den Pausen nicht vor die Glotze. Tests haben gezeigt, dass zuvor Erlerntes durch TV-Konsum schlechter erinnert wird. Dies liegt daran, dass die spannende und themenfremde Berieselung mit Informationen neu Erlerntes im Hirn überschreibt. Deshalb gilt es auch für andere Medien, bspw. Videospiele.

    Es hat sich übrigens in Untersuchungen gezeigt, dass Trivialserien und Soap Operas durch ihre systematische Unterforderung des Gehirns eher lernfördernd wirken. Der nächste Punkt ist im Grunde richtig, aber hier sollte eher darauf hingewiesen werden, dass man dieses Phänomen durch eine Abendwiederholung aktiv nützen sollte.

    Und last but not least: Schlafe ausreichend! Zeit beim Schlafen zu sparen ist langfristig eine doofe Idee. Des Nachts erholst du dich nicht nur, dein Gehirn verfestigt und verarbeitet auch das am Tag Erlernte. Deswegen ist Schlaf gerade in Phasen des Lernens besonders wichtig. Du solltest also eher mehr als weniger schlafen.

    Der Mittagsschlaf ist kindisch – aber er hilft. Kinder brauchen ihn ja unter anderem, weil sie täglich viel Neues erleben. Für den Lernenden ist das nicht anders. Oft hilft eine Schlafphase tagsüber, den Kopf wieder frei zu bekommen. Aber: Nur kurzer Schlaf ist guter Schlaf! Alles was eine halbe Stunde überschreitet, macht für gewöhnlich der Kreislauf nicht mit.

    Dieser letzte Punkt beruft sich wohl auf einige aktuelle Untersuchungen bei Berufstätigen, die nach einem kurzen Mittagsschlaf produktiver waren als ohne. Hier muss man allerdings berücksichtigen, dass in einem durch externe Vorgaben gesteuerten Tagesablauf von StudentInnen ein solches Konzept kaum durchzuhalten sein dürfte. Eher erzeugt es dann die Erkenntnis, dass solche Lerntipps unrealistisch und damit letztlich auch nicht umsetzbar sind. Siehe dazu Power-Napping



    Literatur

    Albulescu, Patricia, Macsinga, Irina, Rusu, Andrei, Sulea, Coralia, Bodnaru, Alexandra & Tulbure, Bogdan T. (2022). „Give me a break!“ A systematic review and meta-analysis on the efficacy of micro-breaks for increasing well-being and performance. Public Library of Science, 17, doi:10.1371/journal.pone.0272460.
    http://www.studium-ratgeber.de/lerntipps-lernmethoden.php (10-10-25)

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